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29.04.2021

Industrie nimmt Kurs auf die Zukunft

Veranstaltungsreihe „Materials for the European Green Deal“ geht weiter: Unternehmen aus Hessen entwickeln Werkstoffe und Prozesse für klimaverträgliches Wirtschaften

Veranstaltungsreihe Materials for the European Green Deal
© HTAI (Design von bartels+drescher)

Punktgenauer hätten das Technologieland Hessen und das Materials Valley e.V. ihre Veranstaltung Materials for the European Green Deal am 22. April kaum terminieren können: Einen Tag zuvor einigten sich EU-Parlament und EU-Mitgliedsstaaten erstmals auf ein verbindliches Klimagesetz. Ein solches Gesetz gilt als Herzstück des Green Deal und verpflichtet die EU darauf, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und ihre Netto-Treibhausgasemissionen bereits bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das Klimagesetz bringe die EU für die kommende Generation auf einen grünen Pfad, betonte Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen.

Die Veranstaltung Materialinnovationen für die Dekarbonisierung der Industrie nahm exakt den gleichen Pfad. „Wir wollen zeigen, welche wichtige Rolle neue Materialien für den Green Deal spielen und wie groß die Bedeutung der Industrie auf diesem Weg ist“, betont Sandro Szabo, Projektleiter Materialtechnologien bei Hessen Trade & Invest und Mitorganisator seitens Technologieland Hessen.

Unternehmen mit eigenem Klimaschutzgesetz

Für klimaschonendes, dekarbonisiertes Wirtschaften braucht es nicht nur klare, gesetzliche Ziele, sondern auch ambitioniert agierende Unternehmen. Gerade die Chemie tut sich schwer, auf das Element Kohlenstoff zu verzichten, denn viele chemische Produkte basieren auf einem Gerüst aus Kohlenstoff. Dazu gehören vor allem Kunststoffe, die für Alltagsgegenstände, aber auch als Hochleistungspolymere beispielsweise für Elektrolyseure und Brennstoffzellen zum Einsatz kommen. Das Spezialchemieunternehmen Evonik spricht daher von Defossilierung. „Wir ersetzen dabei fossile Rohstoffe durch erneuerbare“ erläutert Oliver Markus Busch, Vice President Defossilation, „außerdem suchen wir nach Möglichkeiten, das Treibhausgas Kohlendioxid selbst als chemischen Rohstoff zu nutzen.“

Das Unternehmen hat sich das Ziel gesetzt, konzernweit im Jahr 2025 nur noch halb so viel Kohlendioxid zu emittieren wie 2008. Im vergangenen Jahr wurden laut Busch 44 Prozent davon erreicht. Entscheidend für Evonik, wie auch für andere international agierende Unternehmen, sind im Klimaschutz weniger die prozessbedingten Emissionen vor Ort. Deutlich mehr Treibhausgase entstehen meist durch Herstellung und Verbrauch von Rohstoffen, Energie und Verpackung, außerdem durch Transport und Entsorgung der zahlreichen Produkte. Busch: „Daher muss die gesamte Wertschöpfungskette bilanziert und klimafreundlicher gestaltet werden.“

Ganz ähnliche Überlegungen gibt es bei BASF in Ludwigshafen. Der Chemiekonzern will bis 2030 seine Treibhausgasemissionen gegenüber 2018 um ein Viertel reduzieren. BASF fokussiert dabei auf die internen Energiekreisläufe, „da rund die Hälfte der gesamten Treibhausgase der BASF durch die Energiegewinnung anfallen“, erläutert Xenia Beyrich-Graf, Senior Vice President Chemical Synthesis Research. Das Unternehmen setzt beispielsweise auf den Einsatz von regenerativ erzeugtem Strom in Wärmepumpen zur Abwärmenutzung aus den Prozessen. Zudem arbeitet BASF daran, über eine Methanpyrolyse CO2-freien Wasserstoff zu gewinnen, der wiederum Ausgangsstoff für wichtige Chemikalien wie Ammoniak ist.

Wege zur postfossilen Energieerzeugung

Noch ambitionierter sind die Zielmarken, die sich Schott gesetzt hat. Der Spezialglashersteller aus Mainz will bis 2030 klimaneutral werden – eine echte Herausforderung für ein Unternehmen, das bei extrem hohen Temperaturen von bis zu 1700 oC Gläser erschmilzt und dafür große Mengen Energie verbraucht. „Wir wollen mit unseren Zielen in der Branche vorangehen, auch wenn wir heute noch nicht alle Lösungen kennen“, formuliert Matthias Mueller, Executive Vice President Research & Development. Dafür nutzt Schott mehrere Möglichkeiten: Erhöhung der Energieeffizienz, Einsatz von regenerativem Strom in der Nachbearbeitung und Formgebung der Gläser und die Kompensation nicht vermeidbarer CO2-Emissionen durch Förderung globaler Klimaschutzprojekte. Langfristig – also für die Zeit etwa ab 2035 - denkt das Unternehmen daran, das Glas in Elektrowannen zu erschmelzen und damit Erdgas durch Ökostrom zu ersetzen.

Großes Einsparpotenzial für Treibhausgase und Rohstoffe schlummert nicht nur bei Konzernen, sondern vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Daher fördert das hessische Investitionsprogramm PIUS seit 2017 KMU bei der Umstellung auf umweltfreundliche und ressourcensparende Prozesse. Effizienzmaßnahmen in der Produktion werden mit bis zu 30 Prozent der Investitionssumme bezuschusst. Zudem können die Investitionen über den Innovationskredit der hessischen WIBank kofinanziert werden. „Mittlerweile wurden im Rahmen des Programms über 50 Projekte mit insgesamt zwölf Millionen Euro gefördert“, resümiert Felix Kaup, Themenfeldleiter Industrial Technologies bei Hessen Trade & Invest. Pro Jahr können laut Kaup dadurch 19.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Gegenwärtig arbeite das Hessische Wirtschaftsministerium an einer Neuauflage mit erhöhtem Budget und erweiterten Möglichkeiten.

Europaweites Netz für Wasserstoff geplant

In einer dekarbonisierten Welt wird insbesondere Wasserstoff große Bedeutung gewinnen – zur Stromerzeugung in Brennstoffzellen, aber auch als Rohstoff in chemischen Prozessen. Beide Anwendungen erfordern Wasserstoff mit hoher Reinheit. Als Experte für Industriegase hat Linde gemeinsam mit Partnern ein Verfahren entwickelt, das Wasserstoff von Erdgas (Methan) sauber abtrennt, wenn beide Gase in einer gemeinsamen Pipeline transportiert werden. Das Gasgemisch strömt dabei durch Bündel aus feinen, gesponnenen Polymerhohlfasern. „Die Membran der Fasern hat Poren von nur wenigen Nanometern Durchmesser, die das kleine Wasserstoffmolekül passieren lassen, alle anderen Moleküle dagegen nicht“, erläutert Oliver Purrucker, R&D Portfolio Manager bei Linde.

Wasserstoff reagiert mit vielen Werkstoffen. Bei Metallen kann das Element im Kristallgitter eingelagert werden. „Die Metalle verspröden dadurch und ihre Lebensdauer sinkt“, betont Steffen Schönborn vom Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF) in Darmstadt. Untersuchungen am LBF haben gezeigt, dass selbst robuste Stahlsorten anfällig sind. Insbesondere Schweißnähte, Gewinde und Fittinge, ohne die kein Pipelinenetz auskommt, müssen daher auf ihre Eignung für den Wasserstofftransport getestet werden. Abhilfe schaffen könnte ein spezieller Kunststoff, das Polyamid-12, das Evonik herstellt. PA-12 wird schon seit Jahrzehnten für Gasleitungen eingesetzt und könnte als innere Beschichtung Stahlrohre vor einem Angriff schützen.

Großflächige Transport- und Verteilnetze für Wasserstoff benötigen nicht nur den richtigen Werkstoff, sondern auch Standards und Normen für Bau und Betrieb von Pipelines. „Bis 2030 brauchen wir in Europa rund 11.600 Kilometer, bis 2040 etwa 40.000 Kilometer, um genügend Wasserstoff transportieren zu können“, sagt Marion Erdelen-Peppler, Vorsitzende der European Pipeline Research Group, einem Verband der Pipelinehersteller und -betreiber. Derzeit gibt es europaweit erst ca. 1500 Kilometer Wasserstoffleitungen. Rund 70 Prozent der künftigen Wasserstoff-Pipelines sollen durch Konvertierung bestehender Fernleitungen entstehen. An Standards für die Umwidmung arbeiten derzeit mehrere Verbände und Organisationen, schon „in Kürze“, so Erdelen-Peppler, werden angepasste und neue Normen veröffentlicht.  

Nächster Termin: Dekarbonisierung der privaten Haushalte

Wie können Materialinnovationen zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen beim Wohnen beitragen? Welche neuen Lösungen haben beispielsweise Bauindustrie und Forschungseinrichtungen in Hessen dafür entwickelt? Beim nächsten Termin der Veranstaltungsreihe – zur Dekarbonisierung der privaten Haushalte am 11. Juni – werden Referenten aus Wissenschaft und Wirtschaft zeigen, wie Bauen und Wohnen dank innovativer Materialien klimaverträglicher und zukunftsfähig werden.  

Text: Dipl.-Ing. Christa Friedl

Weitere Informationen zur Reihe


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