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25.03.2024

Rohstoffe: Recycling ist keine Option, sondern ein Muss

Bei kritischen Rohstoffen spricht die Welt chinesisch: Aus China stammt ein Großteil der chemischen Elemente, die für Energiewende und Transformation der Industrie notwendig sind. Welche Potenziale zur Selbstversorgung haben Deutschland und Europa? Im Rahmen der online-Reihe „Beyond Elements“ am 29.2. wurde deutlich, dass eigene Lagerstätten nur langfristig die Lage entschärfen könnten. Schneller und nachhaltiger wirken Recycling und eine konsequente Kreislaufwirtschaft.

© Hessen Trade & Invest / dbf Designbüro Frankfurt

Nur drei Prozent der kritischen Rohstoffe, die in der EU verbraucht werden, stammen aus europäischen Lagerstätten. Der Raw Materials Act von 2023 sieht vor, dass dieser Anteil bis 2030 auf zehn Prozent steigt. Das klingt nach nicht besonders viel, ist aber in Wirklichkeit ein langer und steiniger Weg: Vom Auffinden einer Lagerstätte bis zum verwertbaren Rohstoff vergehen Jahrzehnte. Es braucht Lagerstätten mit ausreichend hohem Gehalt der begehrten Elemente, eine intensive Erkundung der Vorkommen, zahlreiche Anlagen und Prozesse zur Aufbereitung der Erze, es braucht zudem Genehmigungen, Wirtschaftlichkeitsstudien, Bedarfsanalysen, Investoren und Finanzgeber und nicht zuletzt die Akzeptanz aus der Bevölkerung, wenn es um die Eröffnung neuer Minen geht.

Beispielsweise gibt es in der EU durchaus Lagerstätten von Seltenen Erdmetallen, beispielsweise in Schweden und Grönland. Bis aber tatsächlich eine Mine mit der Förderung beginnen könnte, vergehen zehn bis 15 Jahre. Zudem ist der Rohstoffgehalt europäischer Erze um den Faktor sechs bis zehn geringer als in China oder den USA. Die Wirtschaftlichkeit ist also eine derzeit noch offene Frage.

Bergbau nach Maß

Bergbau ist ein Geschäft mit hohen Risiken. „Die Chancen, dass aus einem Explorationsprojekt ein produzierendes Bergwerk wird, liegt bei etwa eins zu tausend,“ sagt Dr. Reiner Haus, Managing Director bei der Dorfner Anzaplan GmbH. Anzaplan erstellt Analysen und Machbarkeitsstudien und entwickelt Prozesse für die Gewinnung kritischer Rohstoffe und Metalle aus den Erzen.

Bei Spezialrohstoffen wie Graphit, Lithium oder Seltenen Erden sind die Qualitätsanforderungen ganz andere als bei Kohle oder Eisenerz. Sie müssen über spezielle Prozesse so aufbereitet, gereinigt und in Form, Größe und Oberflächenbeschaffenheit präzise konditioniert werden, damit die Industrie sie für ihren Zweck überhaupt einsetzen kann. „Außerdem ist entscheidend, ob bestimmte chemische Elemente zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Qualität verfügbar sind“, betont Haus. Bei Genehmigungszeiten von 15 Jahren und global stark schwankenden Rohstoffpreisen hat die Planung einer neuen Mine also viel von einem Blick in eine Kristallkugel.

Smart Mining in der EU

95 Prozent aller Lieferländer von kritischen Rohstoffen liegen in politisch instabilen Regionen, in denen Umwelt- und Sozialstandards eine eher kleine Rolle spielen. Ein Hau-Ruck-Abbau, der sich um Umweltfolgen und Arbeitssicherheit nicht schert, kommt für die EU nicht in Frage. Wie aber sähe „Smart Mining“ aus? Eine Rohstoffgewinnung also mit geringem CO2-Fußabdruck, hoher Arbeitssicherheit, maximaler Effizienz und optimaler Nutzung digitaler Instrumente?

„Wichtig sind schnelle, vollständige und transparente Datenflüsse“, sagt Dr. Patrick Nadoll, Senior Advisor beim European Institute of Innovation & Technology (EIT Raw Materials). Zwar werden im Bergbau schon immer große Datenmengen über Rohstoffe, Vorkommen und Fördertechniken, über Up- und Downstream-Prozesse gesammelt. Und Datensammeln ist in einer digitalen Welt noch einfacher als früher. Dennoch, so Nadoll, gehen in der Praxis Daten verloren, sie werden falsch interpretiert oder entlang der Wertschöpfungskette nicht weitergeleitet. Mögliche Folgen sind nicht nur Ineffizienzen bei Explorationen und eine geringere Produktivität, sondern auch Arbeitsunfälle und Umweltkatastrophen.

Automatisierung kann beide Anforderungen – maximale Arbeitssicherheit und hohe Produktivität – erfüllen helfen. Sogenannte Digitale Zwillinge – Computersimulationen beispielsweise von Lagerstätte und Erzgewinnung – erhöhen die Effizienz, weil sich reale Prozesse schon im Vorfeld planen und vorhersagen lassen. Ein noch recht neues Instrument im Bergbau ist „Autoboltreload“, bei dem Bolzenmagazine zum Anbohren tief gelegener Lagerstätten nicht mehr manuell, sondern automatisch nachgeladen werden.

Auf der Suche nach Batteriemetallen

Bergbau-Knowhow gibt es durchaus in Deutschland, beispielsweise in der Bergbauregion in Sachsen. Hier hat sich 2021 die Deutsche E-Metalle AG (DEM) gegründet. „DEM versteht sich als Ideengeber, um Deutschland und Europa bei der Versorgung mit kritischen Metallen, insbesondere Batteriemetallen, von China unabhängiger zu machen“, betont DEM-Vorstand Dr. Micha Zauner.

DEM plant, über ein Joint Venture mit einem argentinischen Unternehmen eine der größten Lithiumressourcen weltweit zu erschließen. Das Joint Venture besitzt laut Zauner bereits Lizenzen für über 70.000 Hektar im Nordwesten von Argentinien, dem sogenannten Lithiumdreieck. In dieser Region werden vier bis sechs Millionen Tonnen Lithiumcarbonat-Äquivalente (LCE) vermutet. Das heiß begehrte Batteriemetall Lithium will DEM nicht aus Festgestein, sondern aus lithiumhaltigem Salzwasser gewinnen. 2022 haben Erkundungen der Flächen begonnen, um lithiumführende Grundwasserleiter zu finden. Noch in diesem Jahr sollen erste Bohrungen erfolgen. Zauner: „Sowohl Erkundung als auch Förderung werden wir so nachhaltig wie möglich durchführen.“ In etwa drei Jahren will DEM jährlich mindestens 20.000 Tonnen LCE in Argentinien fördern. Die deutsche Politik, glaubt Zauner, hat die Bedeutung solcher strategischen Projekte erkannt und werde sie künftig stärker unterstützen.

Alte Halden neu entdeckt

Kritische Rohstoffe schlummern nicht nur tief unter der Erde, sondern auch oberirdisch in alten Halden, von denen es beispielsweise im Erzgebirge viele gibt. Will man Elemente aus eigentlich bereits ausgebeutetem Abraum „auswaschen“, geht das meist nur mit besonders leistungsfähigen Verfahren. Das Projekt RepNEU eruiert derzeit die Potenziale dieses „Remining“ von heimischen Zinnhalden durch pneumatische Feinstpartikelflotation.

Flotation ist eine alte Trenntechnik im Bergbau. Dabei werden Erzpartikel mit Hilfe von Gasbläschen abgetrennt. „Wir wollen den Arbeitsbereich der Flotationstechnik erweitern und sie für sehr feine und für relativ grobe Partikel anpassen“, sagt Dr. Martin Rudolph, Abteilungsleiter Aufbereitung am Helmholtz-Institut für Ressourcentechnologie in Freiberg/Sachsen. Dafür testet das Helmholtz-Institut mit seinen Partnern neue Sensoren, eine digitalisierte Trenntechnik und wirksamere Flotationsreagenzien.

Auch Australien besinnt sich auf seine alten Halden. „Die Menge an Abraum ist bei vielen kritischen Rohstoffen wie Kupfer oder Nickel besonders hoch“, sagt Dr. Helen Degeling, Project Acquisition Manager bei der Cobalt Blue Holdings Limited, einem in Sydney ansässigen Unternehmen, das auf Erkundung und Bewertung von Kobaltressourcen spezialisiert ist. 2023 hat Cobalt Blue sein Waste Streams Project vorgestellt. Im Kern steht das Vorhaben, aus Minenabfällen Kobalt- und Nickelsufalt für neue Li-Ionen-Batterien zurückzugewinnen. Zugleich extrahiert das Unternehmen auch säurebildende Sulfide und elementaren Schwefel, die einen guten Preis erzielen.

Recycling ist keine Option, sondern ein Muss

Der Weltbedarf an Elementen wie Lithium, Kobalt oder Iridium ist heute schon größer als die Fördermengen. Diese Kluft wird sich in Zukunft noch verbreitern. Das bedeutet: Recycling ist nicht nur eine Option, sondern ein Muss.

Allerdings ist nicht nur die Primärgewinnung kritischer Rohstoffe komplex, auch Recycling erweist sich als äußerst anspruchsvoll. Das zeigt das Beispiel Batterie. Li-Ionen-Batterien sind sehr unterschiedlich in Aufbau, Größe, Konstruktion und Inhaltsstoffen. „Die Aufbereitungsprozesse müssen jeweils angepasst werden und da sind noch viele Fragen offen“, betont Professor Dr. Urs Peuker, Leiter des Instituts für Mechanische Verfahrenstechnik und Aufbereitungstechnik an der TU Bergakademie Freiberg.

Ein neuer Ansatz am Fraunhofer ISC ist das „direkte Recycling“, bei dem aus Altbatterien nicht die reinen Elemente, sondern aktive Funktionsmaterialien zurückgewonnen werden, bei denen die Struktur erhalten bleibt. „Dieser Weg spart Chemikalien und Energie“, sagt Dr. Andreas Flegler, Leiter der Abteilung Processing/Recycling am Fraunhofer ISC.

Kritisch ist allerdings, dass trotz aller Bekenntnisse zur Kreislaufwirtschaft bei der Konstruktion neuer Batterien kaum jemand einen Gedanken an die spätere Verwertung verschwendet. „Vom Design for Recycling sind die Hersteller noch weit weg“, konstatiert Peuker. Manche Batterie-Stacks werden nach der Fertigung zusätzlich mit Kunststoff eingeschäumt, was den Zugang zu den inneren Rohstoffen weiter erschwert – ein Albtraum für jeden Verwerter.

Seltene Erden – selten recycelt?

Würden Altprodukte, die Seltene Erdmetalle enthalten, konsequent stofflich verwertet, könnte man damit etwa die Hälfte des Bedarfs in der EU abdecken. Das Recycling dieser Elemente ist allerdings besonders knifflig, da die einzelnen Vertreter sich in ihren chemischen Eigenschaften nur wenig unterscheiden.

Seltene Erden werden vor allem für Permanentmagnete gebraucht, die für Elektromotoren, Windkraftanlagen, medizinische Geräte oder auch Lautsprecher unverzichtbar sind. Das Unternehmen Heraeus Remloy sieht hier ein großes Spielfeld für metallurgisches Know-how. Remloy kauft gebrauchte Magnete an, bereitet sie auf und produziert daraus wieder Neodym-Eisen-Bor-Materialien. „Wir haben einen Schmelzprozess entwickelt, der die Elemente zu einem Pulver aufbereitet, das erneut in die Magnetfertigung gehen kann“, erläutert Dr.-Ing. Alexander Buckow, Co-Head von Heraeus Remloy.

Strategien aus der Not

Die Deutsche Rohstoffagentur weist seit Jahren daraufhin, dass bei kritischen Metallen die Recyclingerfolge bisher bescheiden sind. Die Dialogplattform Recyclingrohstoffe hat daher 2023 Vorschläge präsentiert, wie das Recycling bei Industriemineralen und kritischen Metallen vorankommt. „Die Ergebnisse fließen in die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie ein, die unter Federführung des Bundesumweltministeriums derzeit erarbeitet wird“, betont DERA-Projektleiterin Dr. Britta Bookhagen. Das EU-Projekt Futuram will bis 2026 Daten über die Verfügbarkeit und Verwertbarkeit von Sekundärrohstoffen in der EU sammeln, mit besonderem Schwerpunkt auf kritischen Rohstoffen, und diese Informationen über eine Plattform verbreiten.

Unbestritten ist aber: Recycling allein kann den Rohstoffbedarf vieler Länder auch künftig nicht decken. Rohstoffe müssen weiterhin in großen Mengen im Ausland beschafft werden. Eine Umfrage im Auftrag der DERA bei etwa 100 Unternehmen aus sieben Industrienationen zeigt, wie Manager darauf reagieren wollen: Durch IT-Tools wollen viele im Einkauf ihren Bedarf, die Lieferzuverlässigkeit und die Preise kontinuierlich berechnen und prognostizieren, um Rohstoffe in Echtzeit einzukaufen. Außerdem planen viele Unternehmen, ihre Materialeffizienz zu steigern und Rohstoffen, die auch in Zukunft schwer zu beschaffen sind oder die immer teurer werden, zu substituieren.

 

Die Veranstaltungsreihe „Beyond Elements – von limitierten Ressourcen und Materialinnovationen“ ist bereits die dritte Online-Reihe von Materials Valley e.V. und Technologieland Hessen, die Industrie, Wissenschaft und Politik auf kurzen Wegen zusammenführt.

Die Veranstalter sind tief im Thema Materialinnovationen verankert. Materials Valley e.V. wurde 2002 gegründet und setzt sich für die Profilierung der Region Rhein Main als High Tech-Standort für Materialforschung und Werkstofftechnologie ein. Das Technologieland Hessen unterstützt im Auftrag des Hessischen Wirtschaftsministeriums Unternehmen dabei, zukunftsweisende Innovationen zu entwickeln.

Mit „Beyond Elements“ richten die Veranstalter den Blick auf eine der wichtigsten Fragen der Zeit: Wie sichern sich EU und Deutschland die Versorgung mit strategisch wichtigen Rohstoffen und stärken ihre Innovationskraft für kommende Technologien? Die dritte Veranstaltung der Reihe am 17. April fokussiert auf Wege zur Dekarbonisierung und Defossilierung. Programm und Anmeldung: https://www.materials-valley.de/anmeldung-29-02-2024/

Foto: Simon Schneider
Simon Schneider
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