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25.01.2024

Navigation für die Notaufnahme

MySympto entwickelt KI zur besseren Diagnose

MySympto unterstützt Mediziner:innen bei der alltäglichen Diagnosestellung. Die Software erleichtert mit Hilfe von Erfahrungsdaten, Künstlicher Intelligenz (KI) und medizinischen Leitfäden die häufig schnell zu treffenden Entscheidungen in Kliniken. Dies könnte Fehldiagnosen verringern und damit auch unnötige Kosten im Gesundheitssystem vermeiden.

Das Team von MySympto: Nils Bergmann, Theresa Nolte und Elia
Das Team von MySympto: Nils Bergmann, Theresa Nolte und Elias Hofmann © MySympto

Von Anja Störiko

Die „Notaufnahme-Ampel“ der Deutschen Notfallmedizinischen Gesellschaft (DGINA) leuchtet in diesem Winter häufig rot und gelb. Schwere Atemwegsinfekte belasten neben Patienten mit lebenskritischen Notfällen bis hin zu leichteren Erkrankungen die Notaufnahmen zusätzlich. Dabei leiden diese selbst unter Personalmangel und Zeitnot. Ihnen will das künftige Start-up MySympto mit einem intelligenten Navigationssystem unter die Arme greifen: Es soll die Patientenaufnahme, die Diagnose sowie die Behandlungspfade vereinfachen und beschleunigen.

Diagnosen in der Notaufnahme erleichtern

Nils Bergmann kam schon während seines Masterstudiums Computational Engineering an der TU Darmstadt mit Forschungsprojekten in KI und Medizin in Berührung. „Aber die Ergebnisse landeten meistens in den Schubladen – das hat mich gestört“. Vor gut einem Jahr entstand daher zusammen mit seinem Freund aus Kindertagen, Elias Hofmann, und der Medizintechnikerin Theresa Nolte die Idee, Arztbriefe zu automatisieren.

Diese aufwändigen, oft bis 20 Seiten langen Schriftstücke seien häufig unstrukturiert und extrem zeitraubend, weiß der 24-Jährige auch aus dem familiären medizinischen Umfeld. Eine Analyse mit ausführlichen Interviews an über 20 Kliniken im Rahmen der Masterarbeiten von Bergmann und Hofmann ergab jedoch, dass die Arztbriefe nur ein Teil des Problems sind – und die Lösung größer sein muss als gedacht: „Das Hauptproblem liegt in der Notaufnahme“, erkannten die beiden Masterstudenten. Die Notaufnahmen sind zu einem Großteil der Zeit unterbesetzt, die Fachkräfte dort häufig noch jung und unerfahren, nach Schätzungen sind 1,2 Millionen Fehldiagnosen jährlich die Folge.

Anstatt also ihre Idee der automatisierten Arztbriefe umzusetzen, fragten die Studierenden Ärztinnen und Ärzte, was sie brauchen. „Die Antwort war ganz klar und immer die gleiche: einen Behandlungspfad zum Entlanghangeln“, so Bergmann: eine schnelle Hilfe für Diagnosen und die sich daraus ableitenden Schritte. Das kann ein intelligentes System leisten, dachten sich die drei Studierenden, und machten sich an die Arbeit.

KI verarbeitet Patientendaten, Erfahrungswerte und Fachinformationen

Grundlage ihrer Idee ist eine Software aus persönlichen Daten, medizinischen Leitlinien und Patientenfällen. Die Stammdaten sowie idealerweise Vorerkrankungen und Medikamente lassen sich häufig aus dem Krankenhausinformationssystem auslesen; hinzu kommt die Aufnahme der aktuellen Symptome. Diese werden mit grundlegenden medizinischen Vorgehensweisen – vor allem aus den offiziellen Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften zu verschiedenen Krankheitsbildern – sowie mit alten Beispielfällen intelligent verrechnet.

Ein Beispiel: Elisabeth Wagner (56) kommt mit Bauchbeschwerden in die Notaufnahme. Ihre persönlichen Daten werden aus vorliegenden Informationen übernommen oder neu aufgenommen, die Symptome ins System eingegeben. Umgehend erkennt die KI mögliche damit zusammenhängende Vorerkrankungen oder Medikamente und hebt sie für die Behandelnden hervor.

Im nächsten Schritt erstellt das System Verdachtsdiagnosen und ermittelt deren Wahrscheinlichkeiten aufgrund der vorliegenden Daten – im Fall von Wagner ein deutlicher Hinweis auf eine Blinddarmentzündung oder möglicherweise eine Lebensmittel- oder Darminfektion. Das System zeigt auch die Begründungen und Laborwerte an; Hintergrundinformationen zum Krankheitsbild sind auf Klick abrufbar. Eine Ampel markiert die Dringlichkeit der Behandlung.

Vor allem schlägt MySympto nun weitere Schritte vor: Welche Fragen müssen noch geklärt werden? Welche Tast-, Labor- oder Bilduntersuchungen helfen für die Differentialdiagnose? Also etwa: Was hat die Patientin gegessen oder erbrochen, wie hat sich die Fieberkurve entwickelt, welches Blutbild ist nötig? Mit jeder Eingabe aktualisiert sich das System und damit die Wahrscheinlichkeitsvorhersage der Diagnosen. Im letzten Schritt folgt die Therapieempfehlung, also die Behandlung mitsamt der relevanten internationalen Codes für Krankheiten. Im Fall von Wagner bestätigt sich die akute Blinddarmentzündung, die eine Operation nötig macht. Zum Abschluss erhalten die Behandelnden mit einem Klick den Arztbrief mit allen sortierten und begründeten Informationen.

Enge Zusammenarbeit mit Kliniken

Solche klinischen Fälle haben die beiden Studierenden bereits im Rahmen ihrer Masterarbeiten getestet. Nach deren Abgabe wollen sie nun ab Ende März den Prototyp von MySympto in einer klinischen Studie prüfen. Die kooperierenden Mediziner:innen von über 20 Kliniken deutschlandweit waren sehr angetan. „Die ersten Auswertungen haben mich begeistert“, so Oberarzt Dr. Hans-Michael Kauerz von der Zentralen Notaufnahme am Uniklinikum Düsseldorf. „Die Idee von Checklisten unter Einbeziehung der aktuellen Leitlinien mit individuellen Vorschlägen zur weiteren Diagnostik ist grandios“.

Als nächstes will das MySympto-Team neben den ersten qualitativen Ergebnissen auch quantitativ den Erfolg beweisen. Dazu suchen sie aktuell Partner aus Kliniken. Zudem wollen sie das Lean AI Startup Funding von Hessian.AI sowie die EXIST-Förderung des Bundes beantragen.

Besonders intensiv ist die Kooperation mit der Medizininformatik des Uniklinikums Frankfurt: „Von denen bekommen wir super Unterstützung“, freut sich Bergmann. Dort haben sie auch Arbeiten für Bachelor, Master und Promotionen ausgeschrieben, um das Thema wissenschaftlich zu ergänzen. Auch das Uniklinikum Mainz sei sehr engagiert, ebenso zwei weitere Unikliniken.

„Unser Hauptfokus ist jetzt, das System genau in den Arbeitsfluss zu integrieren“, sagt Hofmann. Speziell für den Alltag werde MySympto entwickelt, und das sei das Alleinstellungsmerkmal der Anwendung: im hektischen Durcheinander des Alltags den medizinischen Standard zu sichern, dabei die Abläufe und Entscheidungen zu erleichtern und beschleunigen. „Wir haben Kontakt zu über 20 Kliniken deutschlandweit – keiner hat so ein System, aber alle wünschen es sich“, betont Bergmann.

Gründung im Frühjahr geplant

Das Start-up ist noch gar nicht final gegründet. Das sei vor dem erhofften EXIST-Gründerstipendium nicht möglich. Aber ein Hessen-Ideen-Stipendium für 2023 haben die drei jungen Leute bereits erhalten. Auch von hessian.AI und dem Microsoft Founders Hub werden sie unterstützt – und natürlich von HIGHEST, „unserem Supporter seit dem ersten Tag und weiterhin wichtigen Ansprechpartner“, wie Hofmann es formuliert. Zudem stellt ihnen die TUDa ein Büro im Gründerzentrum HUB31 zu Verfügung. Stolz sind die drei auf ihre Finalteilnahme am TU-Ideenwettbewerb 2023 und die Auszeichnung mit dem Publikumspreis beim Hessen Ideenwettbewerb 2023.

Medizintechnikerin Teresa Nolte hat zur KI-Umsetzung und Software-Entwicklung bei MySympto beigetragen, will sich aber jetzt auf ihre Promotion konzentrieren und daher nicht als Gründerin miteinsteigen. Aber eine:n Mediziner:in wollen die beiden Ingenieure gerne in ihr Gründungsteam holen, denn deren Blickwinkel ist für die Anwendung von entscheidender Bedeutung. Mit drei Ober- und Assistenzärzt:innen arbeiten sie bereits eng zusammen: „Ihre Erfahrung und der medizinische Blick sind uns sehr wichtig“, so Bergmann. Daher soll auch ein:e Mediziner:in Teil des Gründungsteams werden. Zudem müssen Datenschutz und ethische Vorgaben geprüft werden, was dauert und aufwändig ist.

In einem ersten Schritt wollen die künftigen Gründer ihre Idee in einem Innovations-Hub mit klinischen Settings testen – so etwas gibt es beispielsweise in Mannheim. Zunächst werden sie nun alte Falldaten in MySympto übertragen und prüfen, ob die Diagnosen in der Notaufnahme bis hin zur Entlassung mit dem System gut oder besser begleitet werden können. Idealerweise könnte MySympto auch parallel im klinischen Alltag getestet werden. Dafür gebe es mögliche Fördermittel, etwa aus dem Krankenhauszukunftsgesetz. Zudem sei es Aufgabe der Universitätskliniken, Innovationen voranzutreiben, zeigt sich das MySympto-Team überzeugt.

„Die zwölf Prozent Fehlbehandlungen – also Abweichungen zwischen Erstdiagnose in der Notaufnahme und der finalen Diagnose – kann man sicher verringern“, so Hofmann. Zumal sich dahinter Kosten von mehreren Milliarden Euro verbergen, denn jeder Tag mehr im Krankenhaus durch Behandlungsänderungen kostet viel Geld. „Uns ist es wichtig, MySympto sehr kundenorientiert zu entwickeln“, so Bergmann. Da hätten sie gleich zu Anfang viel gelernt, als die Arztbrief-Idee noch zu anwendungsfern war. Es habe sich bewährt, mit den Kunden zu reden und sie das Produkt (mit)entwickeln zu lassen.

Gutes tun: für ein besseres Gesundheitssystem

Bergmann ist das Bindeglied zwischen technischer Entwicklung, Geschäftsmodell, Kundenakquise und Kooperationen. Hofmann kümmert sich vor allem um die wirtschaftliche Seite, den Business-Plan und die Schnittstelle zwischen Anwendung und System. „Die Kliniken sind interessiert, haben aber keine Zeit, selbst etwas zu entwickeln“, so der 23-Jährige. Auch einige Krankenhaus-Software-Unternehmen seien bereits von ihrer Idee begeistert. Oberarzt Kauerz ist überzeugt, dass derartige KI-basierte Systemen in den nächsten Jahren in der Medizin Einzug halten werden. Ein System in dem von MySympto geplanten Umfang könne die Notaufnahmen entlasten. Wichtig sei, dass es zur Unterstützung der Entscheidungsfindung und nicht als Ersatz genutzt werde. In einem ersten Schritt könne MySympto zum Beispiel Arztbriefe und Diagnosen junger Kolleg:innen prüfen, sodass nur noch bei Auffälligkeiten ein Fach- oder Oberarzt hinzugezogen werden müsse.

Die Motivation zur Weiterentwicklung bei MySympto ist jedenfalls hoch: „Im Moment macht das viel Spaß – das liegt vor allem an der sehr positiven Resonanz der Kliniken“, so Bergmann. Das Vorhaben werde kein Uniprojekt bleiben, sondern sich in ein Unternehmen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland weiterentwickeln. Hofmann ergänzt: „Wir konzentrieren uns erstmal auf die Notfallversorgung, aber ein Mehrwert ist in vielen anderen medizinischen Bereichen denkbar“. Ihr Antrieb sei, Gutes zu tun und das Gesundheitssystem voranzubringen.

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