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04.02.2022

Die Crux mit dem Kreislauf

Kunststoffe sind überall, aber viel zu selten in Stoffkreisläufen zu finden. Auf einer Veranstaltung des Technologielandes Hessen zeigten hessische Unternehmen und Forschungsinstitute ihre Lösungen für eine bessere Kreislaufwirtschaft.
Dr. Tanja Busse moderierte die Online-Veranstaltung am 1. Februar
© Hessen Trade & Invest GmbH

Kunststoffe haben in einer klimaneutralen Zukunft nur dann einen Platz, wenn sie hochwertig verwertet und konsequent im Wirtschaftskreislauf gehalten werden. Dafür stehen sämtliche Akteure entlang der  Wertschöpfungskette in der Pflicht - Hersteller, Inverkehrbringer, Anwender und Verwerter müssen sich eng austauschen und abstimmen.

Kaum jemand würde diesem Narrativ widersprechen.

Teil der Wahrheit ist aber auch: Bisher sind in Europa die Fortschritte für zirkuläre Wertschöpfungsketten – sowohl technologisch als auch in Form innovativer Geschäftsmodelle – verschwindend klein. In Deutschland wurden 2019 über 14 Millionen Tonnen Kunststoffe verarbeitet, aber nur für weniger als ein Siebtel dieser Menge Rezyklate eingesetzt. Über die Hälfte der Kunststoffabfälle wird verbrannt. Unter den ins Ausland exportierten Mengen liegt das  Recyclingpotenzial jährlich bei rund einer Million Tonnen mit einem Wert von über dreihundert Millionen Euro.

„Das Problem fängt global gesehen gerade erst an“

 „Wir brauchen radikal andere Lösungen“, konstatiert Dr. Henning Wilts, Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (WI). Denn in der EU sollten bis 2030 nur noch recyclingfähige Verpackungen auf den Markt kommen. Global ist die Herausforderung noch um einiges größer. Der weltweite Kunststoffverbrauch wird bis 2050 um den Faktor vier bis fünf wachsen. Wilts: „Das Problem fängt global gesehen gerade erst an.“

Wilts hat gemeinsam mit Kollegen des WI und des Kunststoff-Instituts Lüdenscheid für das Technologieland Hessen die Crux mit den Kunststoffen ausgeleuchtet und die Studie „Kunststoff – Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft“ erarbeitet. Sie zeigt, wie geschlossene Stoffkreisläufe und Abfallvermeidung zu mehr Nachhaltigkeit führen und macht deutlich, wie wichtig dafür Unternehmen und Forschung sind. Am 1. Februar lud die Hessen Trade & Invest GmbH in Kooperation mit der Dechema e.V. zu einer Online-Tagung, um die zentralen Botschaften und die größten Herausforderungen bei Kunststoffen zu diskutieren.

Ein Dreiklang für bessere Kunststoff-Kreisläufe

Laut Studie liegt die Lösung in einem Dreiklang: Zum einen gilt es, Abfälle zu vermeiden. Das klingt zwar einfach, ist in der Umsetzung aber komplex. Oft scheitert es scheinbar an Kleinigkeiten: Für sogenannte Unverpackt-Läden beispielsweise existieren bislang keine Standards für die Mehrweg-Gefäße, in die Kunden ihre Lebensmittel abfüllen – wichtig für den Erfolg und die Akzeptanz der Läden. Zum anderen können fossile Kunststoffe in manchen Anwendungen substituiert werden, z.B. durch biobasierte Produkte oder Polymere, bei deren Fertigung das Treibhausgas CO2  als Kohlenstoffquelle genutzt wird. Und nicht zuletzt geht es um konsequent geschlossene Stoffkreisläufe. Auch hier fehlen bislang Normen und Standards. „Wir müssen eine gemeinsame Sprache für die Industrie finden“, fordert Wilts. „dann könnten wir viel schneller  vorankommen.“

Das sieht die Ampelkoalition ganz ähnlich. Laut Koalitionsvertrag plant die Bundesregierung u.a. ein neues Recyclinglabel, Qualitätsstandards für Rezyklate und produktspezifische Mindesteinsatzquoten. „Das sind gute Ansätze, die den Markt für Sekundärkunststoffe öffnen“, betont Sebastian Hummel, Referent für technologische Innovation und ressourceneffiziente Produktion im Hessischen Wirtschaftsministerium.

Hessische Unternehmen gehen voran

Einige hessische Unternehmen sind auf diesem Markt bereits erfolgreich. Dazu gehört die Kasseler Technoform Bautec Kunststoffprodukte GmbH. Sie verarbeitet jährlich 40.000 Tonnen Kunststoffe wie Polyamid (PA) für Fenster- und Türprofile aus Aluminium, die dank des PA-Anteils besonders gut isolieren. Das Unternehmen nutzt in seinen Profilen rund 25 Prozent Sekundärmaterial aus Produktionsabfällen. Wer will, kann auch Isolierprofile komplett mit Sekundär-PA bestellen. „Die Nachfrage danach verdoppelt sich zur Zeit jedes Jahr“, freut sich Geschäftsführer Pierre Schlosser. Die entscheidende Frage für die Zukunft lautet: Wie lassen sich Altprofile aus den großen Mengen an gemischten und verunreinigten Baustoffabfällen zurück in den Kreislauf bringen? Technisch ist die Sortierung und Verwertung möglich, sagt Schlosser. Unbeantwortet sind bislang Fragen beispielsweise zur Haftung und zu gesundheitsschädlichen Additiven, die in alten Profilen vorhanden sind.

Ebenfalls in Kassel sitzt die General-Industries Deutschland GmbH, die u.a. Transportbehälter und Schäume aus extrudiertem Polypropylen (EPP) verwertet. Insbesondere das Transportwesen erzeugt eine stark wachsende Menge an Kunststoffabfällen. „Einwegboxen ist derzeit ein riesiger Abfallstrom“, betont GID-Geschäftsführer Matthias Henning. Beispielsweise werden Lithiumionen-Batterien aus China, die in europäischen Elektrofahrzeugen verbaut werden, meist in EPP verpackt. Um die eigene Logistik  kosteneffizienter zu gestalten, hat das Unternehmen EU-weit kundennah 20 Verdichteranlagen installiert. Sie kompaktieren die leichten und sehr voluminösen Verpackungen, die dann in gepresster Form zur zentralen Regranulierungsanlage der Firma gebracht werden.

Die durch Corona geschlossene Gastronomie hat bei der GID zudem eine neue Geschäftsidee geboren, die Abfälle vermeiden hilft: Mehrwegboxen aus EPP, die nicht recyclingfähige Pizzakartons ersetzen. Jährlich landen allein in Deutschland etwa 500 Millionen gebrauchte Pizzakartons im Restmüll oder in der Umwelt. Ab 2023 müssen Gastronomen beim Straßenverkauf laut Verpackungsgesetz eine Mehrwegalternative anbieten. Das von GID gegründete Start-up Rezzeat kommt da zur rechten Zeit und bietet Bringdiensten seit kurzem flache und gut isolierende Kunststoffbehälter an. Sie werden über ein digitales Poolsystem verliehen,  mehr als 100 Mal verwendet und am Ende von GID recycelt. „Das Nutzungsentgelt ist nicht höher als die Kosten für einen Einwegkarton“, betont Henning.

Für Folien, Vliese und Behälter aus der Landwirtschaft bietet die RIGK GmbH mit Sitz in Wiesbaden seit Jahren Rücknahmesysteme an. Im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Kunststoffhersteller wurden 2021 etwa 30.000 Tonnen eingesammelt und zu über 90 Prozent recycelt. „Die werkstoffliche Verwertung funktioniert bei Folien der Landwirtschaft sehr gut, weil das Material wenig verunreinigt und oft sortenrein einzusammeln ist“, sagt RIGK-Geschäftsführer Markus Dambeck.

Die Suche nach dem besten Weg

Das gilt aber längst nicht für alle Kunststoffabfälle. Sind sie stark verunreinigt, aus untrennbaren Schichten verschiedener Polymere aufgebaut, ein Verbund mit anderen Werkstoffen oder enthalten elektronische Bauteile, kommt dieses klassische Recycling an seine Grenzen. 

Was also tun mit den komplexen und verunreinigten Fraktionen? An dieser Schnittstelle braucht es neue Anstöße insbesondere aus der Wissenschaft. Mehrere Fraunhofer-Institute arbeiten derzeit im Leitprojekt „Waste4Future“ an Strategien, die die Vielfalt an Abfällen und alle möglichen Verwertungswege in einem Gesamtbild erfassen.

Ein Schwerpunkt ist die Verbesserung der Rezyklatqualität durch neue Additivierung – also durch Zugabe von Stoffen, die chemische und physikalische Eigenschaften nachjustieren. „Nur durch Additive wird aus einem Rezyklat ein Bauteil“, konstatiert Dr. Elke Metzsch-Zilligen, Leiterin der Gruppe Additivierung im Bereich Kunststoffe am Fraunhofer LBF in Darmstadt. Das Institut arbeitet an der Entwicklung neuer Stabilisatoren und Kompatibilisatoren, die Haltbarkeit, Lebensdauer und Morphologie von Rezyklaten und Rezyklatmischungen verbessern.

Ein Forschungsprojekt am Fraunhofer IWKS widmet sich in einem Entropiemodell der Frage: Wie sieht die optimale Aufteilung des gesamten Kunststoffabfallstroms aus? Dafür wird eine Vielzahl von Daten – von der Zusammensetzung über den ökologischen Fußabdruck einzelner Verfahren bis hin zum Marktpreis von Primärware – erfasst und in ein Bewertungsmodell eingespeist, Das Modell steuert dann eine intelligente, sensorgestützte  Sortierung. „Derjenige Ansatz gewinnt, der bei geringstem Energieaufwand die Entropie am wirkungsvollsten minimiert“, sagt Dr. Gerd Homm, Leiter der Abteilung Bioökonomie am IWKS. Ziel, so Homm, ist also eine Technologiehierarchie auf Basis eines neuen Sortieralgorithmus, die sich je nach Rahmenbedingungen anpasst.

Wachsende Rolle für das chemische Recycling

Zu dieser Technologiehierarchie wird neben werkstofflichen Verfahren künftig auch das chemische Recycling gehören. „Beides sind keine Widersacher, sondern ergänzen sich“, ist Katja Wendler, Leiterin des Bereichs Rohstoffe bei der Dechema, überzeugt. Beim chemischen Recycling werden die Polymerketten in ihre Bausteine aufgespalten, die entstehenden Produkte aufgereinigt und u.a. wieder zu neuen Kunststoffen verarbeitet.

Allerdings gibt es noch eine Reihe von offenen Fragen. Die Verfahren benötigen eine gute Sortierung und energieintensive Vorbehandlung des Materials. Unklar ist auch, wie gut die Entfernung von unerwünschten Nebenprodukten gelingt. Im Industriepark Hoechst will die ARCUS Greencycling Technologies GmbH noch 2022 eine Pilotanlage in Betrieb nehmen, die Mischkunststoffe durch Pyrolyse in einem speziellen Trogschneckenreaktor in ihre Bestandteile spaltet. „Der Aufbau von Kapazitäten für das chemische Recycling darf aber nicht dazu führen, dass Forderungen nach recyclingfreundlichem Produktdesign und Standardisierung von werkstofflichen Rezyklaten weniger wichtig werden“, gibt Henning Wilts vom Wuppertal Institut zu bedenken.

Rahmenbedingungen sind entscheidend

Einigkeit herrschte bei den Referenten und Diskutanten, dass die Politik einen verlässlichen Rahmen vorgeben muss, damit die Wirtschaft Kreisläufe deutlich besser schließen kann. Recyclinglabels, Rezyklatquoten und steigenden CO2-Preise können hierbei entscheidende Anreize setzen. Klar wurde auch, dass es keine „guten“ und keine „schlechten“ Verwertungswege gibt, sondern nur den dringenden Bedarf nach einer Vielfalt an Optionen, die Kunststoffabfälle in das verwandeln, was sie sind:  Sekundärrohstoffe mit großem Potenzial für eine weitere Runde. (cf)

Die Studie „Kunststoff – Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft“ steht zum Download bereit unter: 
https://www.technologieland-hessen.de/publikationen

Autorin: Christa Friedl

Foto: Dagmar Dittrich
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Foto: Dagmar Dittrich Projektmanagerin Ressourceneffizienz & Umwelttechnologien
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