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06.02.2024

Rohstoffe kritisch gesehen | Nachbericht zur „Beyond Elements“-Veranstaltung am 24. Januar 2024

Wie gelingt nachhaltiges Wirtschaften in Zeiten limitierter Ressourcen und geopolitischem Kräftemessen? – Neue Veranstaltungsreihe „Beyond Elements“ am 24. Januar gestartet. 

© Hessen Trade & Invest / dbf Designbüro Frankfurt

Es ist keine neue Erkenntnis, dass die EU strategisch wichtige Rohstoffe importieren muss, weil sie selbst geringe Vorkommen oder kaum Kapazitäten zur Förderung und Aufarbeitung hat. Aber erst in jüngerer Zeit schlagen diese Abhängigkeiten in Industrie und Politik große Wellen. Die Sorge: Wenn Exporteure die Preisschraube anziehen, Lieferungen beschränken oder gar einstellen, sind Produktionen und die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Branchen in Europa bedroht.

Grund genug für Technologieland Hessen und Materials Valley e.V., mit einer neuen Veranstaltungsreihe „Beyond Elements– von limitierten Ressourcen und Materialinnovationen“ dieses politisch und wirtschaftlich aufgeladene Spannungsfeld auszuloten. Unterstützung bekommen die beiden Kooperationspartner von EIT RawMaterials, dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut für Rohstoffe. „Beyond Elements“ zeigt in zehn Einzelveranstaltungen, wie sich Deutschland und Europa strategische und kritische Rohstoffe sichern und Abhängigkeiten reduzieren können und auf welche Weise die Verschiebung globaler Kräfte Materialinnovationen auslöst.

EU will weniger abhängig sein

Damit Energie-, Verkehr- oder Wärmewende gelingen, sind chemische Elemente notwendig, von denen viele bisher nur in der Schule gehört haben: Iridium, Neodym, Germanium oder Gallium, Wolfram und Terbium. Diese und andere Mineralien, Metalle, Seltenerdmetalle oder Halbleiter sorgen dafür, dass Windkraftanlagen, Mikrochips, Elektrolyseure oder E-Fahrzeuge funktionieren.

Fakt ist auch: Die allermeisten kritischen Rohstoffe müssen EU-Unternehmen in Drittländern wie China oder Südafrika einkaufen. Auf dieses Risiko reagiert die EU und macht Schritte hin zu mehr Selbstversorgung. Im März 2023 präsentierte die Europäische Kommission einen Vorschlag für ein Verordnungspaket zur Versorgung mit kritischen Rohstoffen - den „Critical Raw Materials Act" (CRMA). Im vergangenen November haben sich der Europäische Rat und das Europäische Parlament auf einen Entwurf geeinigt, voraussichtlich im Frühjahr 2024 soll das Regelwerk in Kraft treten.

Erste Benchmarks für Selbstversorgung

Der CRMA setzt mehrere Wegmarken. Bis 2030 sollen mindestens zehn Prozent des europäischen Verbrauchs an strategischen Rohstoffen innerhalb der EU abgebaut und mindestens 40 Prozent in der Gemeinschaft verarbeitet werden. 25 Prozent des Verbrauchs sollen europäische Recyclingunternehmen liefern. Die Importmenge eines einzelnen kritischen Rohstoffs aus nur einem Drittland limitiert das Gesetz auf 65 Prozent. „Diese Benchmarks sind keine gesetzlichen Pflichten“, betonte Robert Lindner, Referent der Abteilung kritische Rohstoffe in der EU-Generaldirektion Wachstum, bei der Auftaktveranstaltung der Reihe am 24. Januar. Aber sie zeigen, dass der europäische Gesetzgeber es ernst meint mit dem Willen zu mehr stofflicher Unabhängigkeit.
Der Critical Raw Materials Act enthält eine Liste mit 34 kritischen Rohstoffen, wovon 18 als „strategisch wichtig“ eingestuft sind, weil sie für Schlüsseltechnologien schlicht unverzichtbar sind. Darunter sind Seltenerdmetalle, außerdem Nickel, Lithium und die Metalle der Platingruppe, aber auch eher herkömmliche Materialien wie Aluminium, Kupfer und Grafit.

Kürzer planen, leichter finanzieren

Das Gesetz sieht ganz unterschiedliche Maßnahmen vor, beispielsweise schnellere und vereinfachte Genehmigungsverfahren. Für Projekte zur Rohstoffförderung sollen sie künftig nicht länger als 27 Monate dauern, für Anlagen zur Verarbeitung und Recycling höchstens 15 Monate. Außerdem werden „die Mitgliedsstaaten verpflichtet, ihre Explorationsprogramme zu aktualisieren, die teilweise noch aus den 1970er-Jahren stammen“, sagt Lindner. Minenbetreiber müssen prüfen, ob alte Abraumhalden als Rohstoffquelle reaktiviert werden können.
Daneben ist ein einfacherer Zugang zu Finanzmitteln, beispielsweise durch die KfW und die EU-Investitionsbank vorgesehen. Und da die EU kaum eigene Vorkommen für kritische Rohstoffe hat, sollen „strategische Partnerschaften“ mit Ländern aus Afrika und Südamerika, mit Kanada oder Grönland, eine Versorgung sicherstellen.

Unterstützung aus Deutschland

Deutschland „unterstützt den Ansatz und die Ziele und setzt sich für einen wirksamen CRMA ein, der zu einer raschen Diversifizierung strategischer Rohstoffe führt“, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Anfang November 2023. Sie befürwortet zum Beispiel die Vorschläge zu kürzeren Genehmigungsfristen für Anlagen und betont, dass „notwendige gesetzliche Änderungen auf nationaler Ebene nach dem Beschluss des CRMA gegebenenfalls zu prüfen“ sind.

Auch Hessen stellt sich dem Thema. Die Frage nach einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen durchzieht wie ein roter Faden mehrere Programme und Initiativen: die hessische Innovationsstrategie, das Ressourcenwende-Paket im Rahmen des Klimaplans und den Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung. „Die Resilienz der hessischen Wirtschaft hängt auch vom Zugang zu Rohstoffen ab“, betont Jan Oliver Schmitt, Referent für ressourceneffiziente Produktion und Transformation im Hessischen Wirtschaftsministerium. Das Land will sich also gezielt für dieses Thema einsetzen.

Neue Weichen für Innovationen

Industrieunternehmen bewerten den europäischen CRMA weitgehend positiv. „Für die Spezialchemie bietet das Gesetz Möglichkeiten für neue Materialien, die keine oder weniger kritische Rohstoffe enthalten“, sagt Stefan Fengler, Vizepräsident im Forschungsbereich Silica bei Evonik Industries. Ein Beispiel dafür sei eine anionenleitende Membran von Evonik für die Erzeugung von grünem Wasserstoff, die mit deutlich weniger teuren Edelmetallen auskommt. Auch Alexander Barcza, Vizepräsident des Geschäftsbereichs Dauermagnete bei der VAC Vacuumschmelze GmbH in Hanau, sieht die Weichen richtig gestellt. „Die Benchmarks im Gesetz sind für die Up-Stream-Industrie eine Chance, mit politischer Unterstützung strategische Partnerschaften in Europa einzugehen und europäische Standorte zu stärken.“

Philipp Walter, Executive Vice President im Geschäftsbereich Wasserstoffsysteme bei der Heraeus Precious Metals GmbH in Hanau, sieht Schwächen im Gesetz. Nicht jeder kritische Rohstoff lasse sich ersetzen oder in Partnerländern einkaufen. Ein Beispiel dafür sei Iridium, Element der im CRMA geregelten Platinmetalle und unverzichtbar in Elektrolyseuren und Brennstoffzellen. Iridium ist seltener als Gold und kann fast ausschließlich in Südafrika gewonnen werden. Umso wichtiger für Heraeus sind daher Produktentwicklungen, die mit weniger Iridium auskommen.

Primär oder sekundär?

Ein anderer Blick auf die Lage zeigt: Eigentlich ist die EU nicht arm an Rohstoffen. Lithium und Grafit, Neodym und Gallium, Iridium, Alu und Kupfer – strategische Rohstoffe sind längst vor Ort. Zwar nicht als Erz oder Mineral im Boden, aber gebunden und verarbeitet in unzähligen Werkstoffen und Produkten.

Konsequente Kreislaufwirtschaft könnte viele dieser Sekundärrohstoffe nutzbar machen. Evonik beispielsweise arbeitet an lithiumleitenden Membranen, die eine Rückgewinnung von reinen Lithiumsalzen aus Altbatterien möglich machen sollen, auch erprobt das Unternehmen die Reaktivierung gebrauchter Raffineriekatalysatoren. „Materialien, die in Europa recycelt werden, müssen nicht über Drittländer neu eingeführt werden“, konstatiert Stefan Fengler von Evonik in Hanau.

Eigentlich eine Binsenwahrheit. In der Praxis aber oft nicht so einfach umzusetzen. Die Dockweiler Chemicals GmbH in Marburg beispielsweise liefert hochreine Chemikalien für die Halbleiterfertigung. „Um die stark wachsende Nachfrage nach Haltleitermaterialien zu decken, muss das Recycling von Elektro- und Elektronikschrott vorankommen“, weiß Oliver Briel, verantwortlich für die Geschäftsentwicklung bei Dockweiler. Allerdings verkaufe China die Primärrohstoffe derzeit unter dem Herstellungspreis. Daher brauche es politische Unterstützung, um vor allem die höheren Kosten von Sekundärmaterialien abzufedern.

Recycling vor Hürden

Eine andere Hürde für Recycling ist schlicht die Konstruktion moderner Produkte. Sie werden immer komplexer, immer kleiner und immer vielfältiger in ihrer chemischen Zusammensetzung. „Ein Smartphone hat viele chemische Elemente in Milli- oder Mikrogrammbereich verbaut“, sagt Professor Peter Dold, Leiter des Fraunhofer IWKS in Hanau. Wirtschaftlich wird ein Recyclingprozesse also nur, wenn sehr großen Mengen an Altprodukten zuverlässig verfügbar sind.

Ein weiteres Beispiel für bisher ungenutztes Recyclingpotenzial sind Silikonelastomere. Sie werden in Beatmungsmasken, Schläuchen und Dichtungen genutzt. „Ein Recycling gibt es bislang nicht, dabei wären die Rezyklate gut als Füllstoffe geeignet“, sagt Ralf-Urs Giesen, Geschäftsführer des Kunststoffanwendungszentrums der Universität Kassel. Silikonelastomere bergen noch ein anderes Potenzial: Da sie viele günstige Eigenschaften haben, könnten sie laut Giesen in bestimmten Anwendungen ökologisch umstrittene Fluorpolymere ersetzen.

EU-Netzwerk für mehr Autarkie

Mit allen drei Säulen für mehr Unabhängigkeit bei kritischen Rohstoffen – Minimierung, Ersatz, Recycling - beschäftigt sich auch EIT RawMaterials. Ziel ist es, die Versorgung der europäischen Industrie zu sichern, indem es Innovationen entlang der Wertschöpfungskette anstößt. Das Netzwerk hat mittlerweile mehr als 350 Mitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft und Finanzwelt. Zwischen 2016 und 2022 gelang die Entwicklung von etwa 1.400 Prototypen und Pilotanlagen, rund 400 Start-ups wurden gefördert.

„Alle wissen, wir brauchen Innovationen und Investitionen in Europa und wir brauchen sie jetzt“, sagt Nora Groth, Business Development Manager bei EIT RawMaterials. Wichtig sei dabei vor allem ein unverstellter Blick auf alle Optionen, die sich öffnen. Groth: „Die Frage ist nicht, machen wir Recycling oder suchen wir lieber nach Ersatzstoffen?“ Unternehmen und Wissenschaft müssten vielmehr alle Wege ausloten, um die Rohstoff-Frage zügig, nachhaltig und klimaverträglich zu lösen. Für Entweder-Oder ist die Herausforderung schlicht zu groß.

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Die Veranstaltungsreihe „Beyond Elements – von limitierten Ressourcen und Materialinnovationen“ ist bereits die dritte Online-Reihe von Materials Valley e.V. und Technologieland Hessen, die Industrie, Wissenschaft und Politik auf kurzen Wegen zusammenführt.
Die Veranstalter sind tief im Thema Materialinnovationen verankert. Materials Valley e.V. wurde 2002 gegründet und setzt sich für die Profilierung der Region Rhein Main als High Tech-Standort für Materialforschung und Werkstofftechnologie ein. Das Technologieland Hessen unterstützt im Auftrag des Hessischen Wirtschaftsministeriums Unternehmen dabei, zukunftsweisende Innovationen zu entwickeln. EIT RawMaterials vernetzt Akteure aus Industrie, Forschung und Lehre entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Durch die Förderung von Innovationen, neuen Bildungsangeboten und Investitionen soll der Zugang zu strategischen Rohstoffen für die Europäische Industrie gesichert, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Europe gestärkt werden.

Mit „Beyond Elements“ richten die Veranstalter den Blick auf eine der wichtigsten Fragen der Zeit: Wie sichern sich EU und Deutschland die Versorgung mit strategisch wichtigen Rohstoffen und stärken ihre Innovationskraft für kommende Technologien? Die zweite Veranstaltung der Reihe am 29. Februar fokussiert auf Gewinnung, Aufbereitung und Recycling von Rohstoffen aus dem Bergbau.

Anmeldung zur Veranstaltung am 29. Februar

Weitere Informationen zur Veranstaltungreihe Beyond Elements

Foto: Simon Schneider
Simon Schneider
Ansprechpartner im Technologieland Hessen

Simon Schneider

Foto: Simon Schneider Projektmanager Materialtechnologien
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