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08.05.2024

Rückruf-Aktionen für Kohlenstoff | Nachbericht zur „Beyond Elements“-Veranstaltung am 17. April 2024

Kohlenstoff hält die Wirtschaft am Laufen. Ob Chemie oder Stahl, Beton oder Kunststoffe – ohne das Element geht wenig. Umso dringlicher sind Lösungen, die Kohlenstoff und klimaschädliches Kohlendioxid im Produktzyklus halten oder fossile Quellen ersetzen. Materials Valley e.V. und Technologieland Hessen luden am 17. April erneut zur online-Reihe „Beyond Elements“, bei der Industrie und Forschung Prozesse und Produkte zur Diskussion stellten.

Chemie ohne Kohlenstoff ist kaum denkbar, denn Kunststoffe und die meisten Chemikalien brauchen ihn für ihre Herstellung. Die Branche muss daher andere Wege gehen, um Klimaziele zu erfüllen. Dr. Steffen Hasenzahl, Leiter der Creavis Research beim Spezialchemieunternehmen Evonik, skizzierte bei der Veranstaltung mehrere Optionen: der Ersatz von Kohle, Öl und Gas durch erneuerbare Kohlenstoffquellen wie Biomasse. Carbon Capture and Usage (CCU), also die Abscheidung und stoffliche Nutzung von Kohlendioxid. Nicht zuletzt ein konsequentes Recycling von Kunststoffabfällen. Hasenzahl: „Ziel der Branche ist nicht die Dekarbonisierung, sondern die Defossillierung möglichst vieler Prozesse.“

Evonik entwickelt dafür verschiedene Ansätze. Ein neues Verfahren soll beispielsweise künftig das Recycling von alten Matratzen erleichtern, von denen allein in der EU jährlich etwa 40 Millionen auf Deponien landen. Durch Hydrolyse wird der Polyurethanweichschaum in kleinere Moleküle aufgespalten, aus denen wieder Polyurethan produziert werden kann. Auch Carbon Capture wird eine Rolle spielen. Am Standort Marl arbeitet eine Versuchsanlage, in der nach dem Vorbild der Photosynthese spezielle Mikroorganismen CO2 und Wasser in chemische Rohstoffe wie Hexanol verwandeln. Eine größere Anlage mit bis zu 2000 Jahrestonnen Kapazität ist laut Hasenzahl in Planung.

Klimagas einfangen!

Carbon Capture beschäftigt derzeit zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ohne die Abscheidung, stoffliche Nutzung oder Endlagerung von CO2 keines der derzeitigen Klimaschutzziele erreicht wird. Zudem können manche Branchen und Wirtschaftssektoren trotz aller Anstrengungen ihre CO2-Emissionen nur mindern, aber nicht komplett vermeiden.

An der TU Darmstadt arbeitet das Institut für Energiesysteme an einem chemischen Verfahren, bei dem CO2 an ein festes Absorbens wie Kalziumoxid gebunden wird. Herzstück des „Carbonate Looping“ ist ein dualer Wirbelschichtreaktor, in dem Kalziumoxid im Kreislauf geführt wird. Im Karbonator findet die Absorption, im Kalzinator die Desorption des CO2 statt. „Der Prozess läuft bei über 600 Grad Celsius, so dass mit der Abwärme effizient Strom erzeugt werden kann“, erläutert Jochen Ströhle vom Institut für Energiesysteme der TU. Das Verfahren hat daher Wirkungsgradvorteile gegenüber konventionellen Waschverfahren und ist auch für die Nachrüstung von Kraftwerken, Zementfabriken oder Müllverbrennungsanlagen geeignet. In Rahmen eines Konsortiums will die TU mit Hilfe einer mobilen Anlage eruieren, für welche Prozesse und welche Anlagen Carbonate Looping praktikabel und wirtschaftlich ist.

Naheliegend ist die Idee, das unerwünschte Treibhausgas direkt aus der Luft zu filtern. Bislang allerdings ist dieses „Direct Capture“ energieaufwändig und wenig effizient, da Luft nur etwa 0,04 Prozent CO2 enthält. An der ETH Zürich hat Katrin Sievert drei verschiedene Ansätze für Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) untersucht und in ihrer Wirtschaftlichkeit verglichen: die Abscheidung in wässriger Lösung mit Kaliumhydroxid, die Adsorption an festes Filtermaterial und die chemische Bindung mit Calciumoxid. Alle drei Methoden sind im Pilotstadium oder in Planung - und alle drei sind teuer: Abscheidung, Transport und Speicherung des Klimagases schlagen mit 250 bis 500 Dollar pro Tonne zu Buche. „Allerdings kommt es immer darauf an, womit man die Kosten vergleicht“, betont Sievert. Für Wirtschaftssektoren wie beispielsweise den Flugverkehr, der seine Treibhausgasemissionen kurz- und mittelfristig kaum vermeiden kann, könne DACCS daher trotz der hohen Kosten eine Option sein, um Klimaziele zu erreichen.

Mit CO2 produzieren – gewusst wie

Klüger als eine Endlagerung ist eine stoffliche Nutzung des Klimagases. Doch wer CO2 als Rohstoff verwenden will, muss viele Fragen klären: Wo gibt es ergiebige, nicht fossile Quellen? Wie aufwändig sind Abscheidung und Aufbereitung? Ist die Nutzung für einen definierten Prozess überhaupt technisch möglich und wirtschaftlich?

Die Enotech GmbH in Dieburg erstellt im Auftrag von Kunden Standort-, Prozess- und Kostenanalysen, um ein vollständiges Bild für den Einsatz des Klimagases zu erhalten. Wichtig: „CO2 muss wie andere Industriegase auch bestimmten Qualitäten entsprechen, um überhaupt industriell verwendet werden zu können“, sagt Enotech-Geschäftsführer Pascal Peschke. Das wird dann zur Herausforderung, wenn das Gas beispielsweise aus Abgasströmen mit schwankender Zusammensetzung gewonnen werden soll.

Das Unternehmen bse Methanol aus Leipzig produziert und installiert standardisierte Synthesemodule, in denen aus CO2 und Wasserstoff bis zu zwei Tonnen Methanol pro Stunde entsteht. Methanol ist eine der wichtigsten Grundchemikalien weltweit und kann als alternativer Kraftstoff beispielsweise die Schifffahrt umweltfreundlicher machen. „Aus grünem Strom und CO2 aus Rauchgasen oder biologischen Quellen entsteht in unseren Modulen E-Methanol direkt beim Kunden“, erläutert Dr. Johann Kirchner, Leiter der Verfahrenstechnik. Vorteile des Verfahrens sind laut Kirchner die milden Reaktionsbedingungen und eine hohe Prozessdynamik, die eine schwankende Verfügbarkeit von Strom und Wasserstoff abpuffern kann.

Mikroorganismen sind zu erstaunlichen Syntheseleistungen fähig. Das nutzt die CO2BioClean GmbH in Frankfurt. Im Industriepark Höchst betreibt das Start-up eine Forschungsanlage, in der Bakterien CO2 in Polyhydroxyalkanoate (PHA) oder Polyhydroxybuttersäure (PHB) umwandeln. Beide Produkte sind Grundlage für biologisch abbaubare Biopolyester zum Beispiel für Verpackungen und Textilien. Die skalierbaren Fermenter sollen direkt dort aufgebaut werden, wo CO2-haltige Abgase anfallen. „Der Markt wünscht eine breite Palette von Biokunststoffen, um möglichst viele Anwendungen abzudecken“, sagt Geschäftsführerin Dr. Fabiana Fantinel. Daher werden die Ausgangsstoffe für die Fermentation gezielt variiert.

Recycling läuft nicht immer rund

Weitaus mehr Erfahrung als mit CO2-Abscheidung und CO2-Nutzung hat die Wirtschaft mit Recycling. Es macht aus kohlenstoffhaltigen Abfällen Sekundärrohstoffe, die in neue Produkte gehen und Primärrohstoffe ersetzen. Soweit die Theorie. In der Praxis läuft Recycling oft nicht rund. Die werkstoffliche Verwertung von Kunststoffen beispielsweise ist meist nur wirtschaftlich für sortenreine und saubere Fraktionen, weniger für Mischabfälle oder Stoffströme, die Schwermetalle, Chlor oder andere Störstoffe enthalten. Auch faserverstärkte Kunststoffe lassen sich mechanisch meist nicht mehr sauber in Fasern und Kunststoff trennen und verwerten.

Diese Lücke will das chemische Recycling schließen. „Durch Pyrolyse können aus schwierigen Kunststoffabfällen reproduzierbar Rohstoffe für die chemische Industrie entstehen“, sagt Julian Odenthal, Leiter der Geschäftsentwicklung bei Arcus Greencycling Technologies in Frankfurt. Wie robust die Pyrolyse tatsächlich ist, erprobt Arcus seit 2023 in einer 4000-t-Anlage in Hoechst, seit Beginn 2024 zeitweise im kontinuierlichen Betrieb.

Auch Curenergy aus Viernheim setzt auf Pyrolyse von Abfällen. Das Unternehmen entwickelt, baut und betreibt Anlagen direkt beim Kunden - „insbesondere für komplexe Materialien wie Altreifen, Compositmaterialien oder Schredderleichtfraktion“, betont Geschäftsführer Karl Görtz. Da der Prozess von Curenergy bei Temperaturen über 1000 °C abläuft, entsteht aus den organischen Anteilen im Input zum großen Teil wasserstoffreiches Synthesegas. Außerdem bleiben nach der Pyrolyse – abhängig vom Abfall – Sekundärrohstoffe wie Ruß, Stahl und Glasfasern übrig. Eine erste großtechnische Anlage ist laut Görtz in Planung.

Werkstofflich oder chemisch recyceln? Neue Sensorik, maschinelles Lernen und digitale Zwillinge für Recyclingprozesse können helfen, diese Frage zu beantworten, indem sie Abfallströme exakt analysieren und den jeweils optimalen Verwertungsweg bestimmen. „Die gesamte Recyclingkette kann damit optimiert werden“, ist Dr. Gert Homm, Leiter der Abteilung Bioökonomie am Fraunhofer IWKS, überzeugt.

Grasfasern statt Glasfasern

Beim Unternehmen Biowert aus Brensbach ist der Name Programm: Aus lokal angebautem Gras entsteht im Gemisch mit recyceltem Polypropylen oder Biopolyester ein hochwertiger, faserverstärkter Werkstoff. Er lässt sich durch Spritzguss oder Extrusion zu einer Vielzahl von Produkten verarbeiten. Wichtig für den Kreislaufgedanken: Produkte aus dem Graskunststoff können bis zu acht Mal ohne Qualitätsverluste recycelt werden. Außerdem produziert Biowert aus organischen Abfällen Düngemittel und Biogas. „Unsere Anlage braucht keine Energie, sondern erzeugt welche“, betont Marketingmanagerin Asli Hanci.

Viel Kohlenstoff steckt auch in biologischen Reststoffen beispielsweise aus der Lebensmittelindustrie. Diese Reststoffströme sind alles andere als wertlose Reste. „Es fallen große Mengen an, aus denen wertvolle Inhaltsstoffe gewonnen werden können“, sagt Dr. Stefan Hanstein, Projektleiter im Bereich Bioökonomie am Fraunhofer IWKS. Aus Apfeltrester oder Rübenhackschnitzel extrahiert das IWKS bestimmte Vielfachzucker, sogenannte Glykane. Glykane sind Ausgangsstoffe für Beschichtungen, Lacke oder Bindemittel. Die CO2-Bilanz der Extraktion ist besonders günstig, wenn ein hoher Anteil der enthaltenen Zucker zurückgewonnen wird und die notwendige Prozessenergie aus Abwärme oder regenerativen Quellen stammt.

 

Die Veranstaltungsreihe „Beyond Elements – von limitierten Ressourcen und Materialinnovationen“ ist bereits die dritte Online-Reihe von Materials Valley e.V. und Technologieland Hessen, die Industrie, Wissenschaft und Politik auf kurzen Wegen zusammenführt.
Die Veranstalter sind tief im Thema Materialinnovationen verankert. Materials Valley setzt sich für die Profilierung der Region Rhein Main als High Tech-Standort für Materialforschung und Werkstofftechnologie ein. Das Technologieland Hessen unterstützt im Auftrag des Hessischen Wirtschaftsministeriums Unternehmen bei der Entwicklung zukunftsweisender Innovationen. Für ihre neue Reihe bekommen die beiden Veranstalter Unterstützung des EIT Raw Materials.

Mit ihrer Reihe „Beyond Elements“ richten die Veranstalter den Blick auf eine der wichtigsten Fragen der Zeit: Wie sichern sich EU und Deutschland die Versorgung mit strategisch wichtigen Rohstoffen und stärken ihre Innovationskraft für kommende Technologien? Die vierte Veranstaltung der Reihe am 29. Mai widmet sich den Metallen der Seltenen Erden.

Anmeldung zur Veranstaltung am 29. Mai

Weitere Informationen zur Veranstaltungreihe Beyond Elements

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