Zirkuläres Design für die Kreislaufwirtschaft

Längere Nutzungsdauer, bessere Reparierbarkeit und erleichterte Wiederverwendung: In kreislaufgerechten Produkten liegt der Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit, wie die zweite Veranstaltung der Reihe „Wege zur Circular Economy in Hessen“ zeigte. Unter dem Titel „Zirkuläres Design“ trafen sich Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik am 9. Mai 2023 im House of Logistics & Mobility (HOLM) in Frankfurt.

Grünes und zirkuläres Design gelten bislang als eine Art Sahnehäubchen, als Nice-to-have, aber noch nicht als Notwendigkeit. Doch das werde sich bald ändern, sagte Sebastian Hummel, Referent im Hessischen Wirtschaftsministerium, zum Auftakt der Veranstaltung: „Sonst erreichen wir die Ziele der Kreislaufwirtschaft nicht.“ Er unterstrich die Bedeutung von Ökodesign- und Verpackungsverordnungen, von Kreislaufstrategien auf nationaler und auf EU-Ebene, denn ausschließlich auf Freiwilligkeit zu setzen sei nicht immer zielführend. Gleichwohl müsse, wie Susanne Stöck von der Geschäftsstelle Kreativwirtschaft Hessen in der Begrüßung betonte, das Nachhaltigkeitsbewusstsein in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die branchenübergreifende Zusammenarbeit gestärkt werden.

Die Dringlichkeit belegte Dr. Felix Kaup vom Technologieland Hessen mit Zahlen: „Über 90 Prozent der weltweit hergestellten Produkte werden zu Abfall, nur rund 9 Prozent davon gelangen zurück in den Kreislauf.“ Der Rest lande zu einem Großteil in der Verbrennung und heize die Erderwärmung an.

Impressionen der Veranstaltung am 9. Mai 2023

Zirkuläres Denken und regulatorische Instrumente

Wie sich mit zirkulärem Denken das Klima retten lässt, rechnete Michael Weber von Creators Collective aus Wiesbaden vor: „In einer Circular Economy könnten wir 34 Prozent des Materialverbrauchs einsparen und die Erderwärmung damit unter zwei Grad halten.“ Weber erläuterte verschiedene Möglichkeiten zum Schließen von Kreisläufen. Eine verlängerte Nutzungsdauer sowie die Weitergabe oder Wiederaufbereitung von Produkten seien dabei gegenüber dem Recycling klar zu favorisieren: „Recycling verlängert lediglich den Weg in den Mülleimer und kann daher nur ein Teil der Lösung sein.“ Beispiele für eine gelingende Kreislaufwirtschaft hatte Weber reichlich parat: Der Outdoor-Bekleidungshersteller Patagonia etwa verlängert mit seinem Programm „Worn Wear“ die Nutzungsdauer seiner Produkte. Die Mobiltelefon-Anbieter Fairphone und Shift steigern durch entsprechendes Design die Reparierbarkeit der Geräte. Die Plattform happy3D des französischen Elektronikmarktes Boulanger wiederum erleichtert Reparaturen, in dem sie 3D-Druckdateien für Ersatzteile frei zur Verfügung stellt. Designer müssten zukünftig in „Lebenszyklen, Lieferketten, Partnerschaften und Ecosystemen“ denken, statt nur an die Produkte, forderte Weber. Gesetzliche Vorgaben hält er für unerlässlich.

Ein regulatorisches Instrument ist die neue Ökodesign-Verordnung, die Holger Dickert von der Hessischen Eichdirektion vorstellte. Aktuell beschäftigt er sich mit dem vierten Kompromissvorschlag. „Es ist noch alles im Fluss“, sagte er. Die Verordnung wird vermutlich im Herbst verabschiedet. Sie sieht unter anderem einen digitalen Produktpass vor, beschreibt Herstellerpflichten und macht Vorgaben zur Vernichtung ungenutzter Produkte.

Neue Design-Konzepte: Kreislaufwirtschaft für alle

Derartige Gesetze geben den Rahmen vor, aber wie gelingt nachhaltiger Konsum in der Praxis? Peter Post von der Agentur Scholz & Volkmer aus Wiesbaden hat für diesen Zweck die „Circular Experience Library“ entwickelt. Sie enthält über 70 Komponenten für Benutzeroberflächen. Diese sogenannten Patterns sorgen für mehr Nachhaltigkeit im User Experience Design (UX Design) und erleichtern damit die Entwicklung von kreislauffähigen Produkten oder Diensten. Das Pattern „Sharing to Refinance“ etwa lädt Kundinnen und Kunden zum Produkt-Sharing ein, indem es berechnet, in welchem Zeitraum sich zum Beispiel ein neues Fahrrad durch Teilen mit anderen Personen refinanzieren lässt.

Ein weiteres Multi-Use-Konzept stellte Lars Zimmermann vom Berliner Designstudio Mifactori vor. Sein Projekt Trikka beruht auf modularen Bauteilen, wobei dasselbe Teil zum Beispiel in einem Stuhl, einer Lampe oder einer Uhr steckt. Ein definiertes Lochraster sorgt dafür, dass sich alle Teile miteinander verschrauben und leicht wieder trennen lassen. Das Beste: Die Bauteil-Pläne stehen frei zur Verfügung. So lädt Trikka zum Mitmachen ein. Alle können Trikka-Objekte entwerfen und die Teile zum Beispiel von der Tischlerei vor Ort herstellen lassen. Designerinnen und Designer können zudem eigene Bauteile hinzufügen.

Der modulare Ansatz steigert die Wiederverwertbarkeit und sorgt für Produkte ohne überbordende Ausstattung. Nachhaltiges Design orientiere sich am Bedarf der Kundinnen und Kunden und verzichte auf Overengineering, meinte auch Julian Barnikol von der Leibniz Universität Hannover in seinem Vortrag über frugale Innovationen. Darunter versteht man Produkte, die weder komplex noch teuer sind, dennoch eine gute Qualität aufweisen und ihre Funktion genau erfüllen. Die Reduktion auf das Wesentliche spart Material sowie Energie bei der Herstellung und beim späteren Gebrauch.

 

Produkte und Geschäftsmodelle: Nachhaltigkeit in der Luft und am Boden

Dass Kreislaufwirtschaft und zirkuläre Geschäftsmodelle keine neuen Ideen sind, machten Dr.-Ing. Diana Wolf und Steffen Geier von Mewa Textil-Service aus Wiesbaden deutlich. Das 1908 gegründete Unternehmen bietet einen Rund-um-Service für Putzlappen und Arbeitskleidung vom Blaumann bis zum Business-Outfit an. Eine Milliarde Mewa-Putztücher aus Baumwolle, gewebt in Deutschland, kommen jährlich in Druckereien, Werkstätten und anderen Betrieben zum Einsatz. Mewa holt benutzte Tücher ab, wäscht sie, kontrolliert die Qualität und liefert sie wieder aus. Schmutzstoffe werden aus dem Waschwasser gefiltert und thermisch verwertet. Berufskleidung bessert Mewa in der eigenen Näherei aus, unter anderem mit Flicken, die aus untragbaren Kleidungsstücken ausgestanzt werden. Nur was sich gar nicht mehr verwerten lässt, landet ebenso wie ausgediente Putztücher im Textilrecycling. Wolf bedauerte, dass Recyclinggarne teurer seien als neues Material. Für die Arbeitskleidung der Kollektion PEAK, die überwiegend aus recyceltem Polyester aus Getränkeflaschen besteht, erhielt Mewa den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2023.

Dr. Thomas Mützel-von Schwarz von SkyTender Solutions aus Herborn wiederum will das Luftfahrt-Catering umweltfreundlicher gestalten und die bewährten Getränke-Trolleys neu bestücken. Wasserkanister, die am Flughafen aufgefüllt werden, und Sirupbeutel sollen Dosen, Flaschen und Getränkekartons ersetzen. Das spart Kraftstoff sowohl an Land als auch in der Luft und erlaubt ein bedarfsorientiertes Catering, das zwecks besserer Planbarkeit zudem digital erfasst wird. Im Sommer sollen die so ausgestatteten Trolleys ihren ersten Kontinentalflug absolvieren.

Am Boden im wahrsten Sinn des Wortes blieb Michael Grotekemper von W. & L. Jordan aus Kassel, einem Hersteller und Großhändler für Bodenbeläge. Nachhaltigkeit sei der Holzbranche in die Wiege gelegt, erklärte er und verwies auf Cradle-to-Cradle-zertifizierte Produkte des Unternehmens. Das Prinzip ist Jordan nicht neu, entsprechende Bodenbeläge hat das Unternehmen schon lange im Programm. Der Aufwand für die Zertifizierung aber sei enorm hoch, kritisierte Grotekemper.Die Cradle-to-Cradle-Zertifizierung beschränkt sich daher vorerst auf Premiumprodukte, zumal sie nicht verpflichtend ist und der Sektor aktuell ohnehin unter den stark gestiegenen Preisen für Holz und andere Baustoffe leidet.

Lebehafte Diskussionen im Themen-Café

Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus der Ökodesign-Verordnung? Wie werden Vorteile der Zirkularität erfolgreich kommuniziert? Und wo fange ich an beim Open Design? Im Themen-Café am Nachmittag diskutierten die Vortragenden solche Fragen in kleinerer Runde mit den Teilnehmenden. Dabei zeigte sich, dass vieles gar nicht neu erfunden werden muss. „Modularität liegt bei uns allen zu Hause rum, wir müssen nur anfangen sie zu gestalten“, fasste Lars Zimmermann die Gespräche an seinem Tisch zusammen. Wer etwa die Müslitüte mit einer ohnehin vorhandenen Wäscheklammer verschließe, statt dafür einen Plastik-Clip zu kaufen, befände sich auf dem richtigen Weg. Die entscheidenden Treiber aber, so das Fazit von Peter Post, seien ökonomische Anreize, flankiert durch gesetzliche Vorgaben. Letztere stoßen allerdings in der Wirtschaft, besonders bei kleinen und mittleren Betrieben, auf Widerstand. Die Unternehmen fürchten sowohl den Aufwand als auch eine Überregulierung, wie am Tisch von Holger Dickert deutlich wurde, und wünschen sich leicht verständliche Leitfäden sowie Durchführungsvorschriften.

Der Weg in die Kreislaufwirtschaft gelinge wohl nur mit „Zuckerbrot und Peitsche“, also mit ökonomischen Anreizen und Regulierung, fasste Moderator Felix Kaup am Ende des Tages zusammen.Aber auch wenn Unternehmen sowie ihre Kundinnen und Kunden nicht aus Liebe zum Planeten Erde umdenken, ist für den Wandel ein gewisser Idealismus durchaus förderlich. Daran mangelte es den Vortragenden nicht und mit dem richtigen Mix aus ideellen Motiven, praktischen Tipps und erfolgreichen Beispielen gaben sie der Kreislaufwirtschaft wichtige Impulse.

Programm zur Veranstaltung "Zirkuläres Design" am 9.05.2023 beim HOLM (Frankfurt am Main).
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