Kunststoffe im Kreislauf: Booster fürs Recycling

Wer vorausgehen will, muss sich im Kreis bewegen: Das Recycling von Kunststoff scheint Normalität - und doch läuft es an vielen Stellen nicht rund. Wie Forschung und Industrie in Hessen den Kreislauf in Schwung bringen, präsentierten Technologieland Hessen und das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF am 27. November in Darmstadt in der Reihe „Wege zur Circular Economy in Hessen“.

Die faszinierende Vielfalt der Kunststoffe ist zugleich ihre Kehrseite. Weil kaum ein polymerer Werkstoff dem anderen gleicht, fällt stofflich hochwertiges Recycling oft schwer. Obwohl seit Jahrzehnten Plastikabfälle getrennt gesammelt werden und obwohl Industrie und Politik viel Geld in die Entwicklung von Sortierung und Recycling investiert haben, ist die Ausbeute mau. In der EU landen nur etwa 27 Prozent der Kunststoffabfälle bei einem Recyclingunternehmen, lediglich zwölf Prozent aller Kunststoffprodukte enthalten Rezyklat. Weltweit gesehen sind die Zahlen noch schlechter: 80 bis 90 Prozent des Plastikmülls werden gar nicht erst gesammelt, sondern verbrannt, deponiert oder schlicht weggeworfen. Lediglich für PET-Getränkeflaschen existiert in mehreren Ländern ein funktionierender Closed-Loop.

Aufgeben aber ist keine Option. „Wenn wir Wohlstand erhalten wollen, führt an zirkulärer Ökonomie kein Weg vorbei,“ konstatierte Umut Sönmez, Staatssekretär im Hessischen Wirtschaftsministerium, bei der Veranstaltung in den Räumen des Fraunhofer LBF. Intelligentes Recycling, so Sönmez, stärke außerdem die Kunststoffindustrie im Land und die Wettbewerbsfähigkeit der Branche insgesamt. Auch die EU will mehr Kunststoffe im Kreislauf sehen. Die europäische Verpackungsverordnung sieht u.a. ab 2030 neue Rezyklatquoten und höhere Recyclingfähigkeit von Verpackungen vor.

Vielfalt beim Kunststoff braucht Vielfalt beim Recycling

Kunststoffe sind die einzige Werkstoffklasse, die sich auf ganz unterschiedlichen Wegen verwerten lässt - thermisch, chemisch und physikalisch. Allerdings gilt, je sauberer, homogener und definierter der Input ist, umso effizienter und wirtschaftlicher funktioniert der Prozess. Post-Consumer-Abfälle sind aber so gut wie nie sauber, trocken und sortenrein, sondern ständig wechselnde Gemische mit erheblichem Anteil an Störstoffen, Schadstoffen und schwer oder gar nicht recyclingfähigen Material. Zudem hat sich in jüngerer Zeit der Gegenwind verschärft: Billige Neukunststoffe machen Recycling und Rezyklate oft unwirtschaftlich. Außerdem: „Hohe Energiepreise in der EU verteuern die Verwertung und europäische Rezyklate müssen mit Billigimporten asiatischer Recyclingware konkurrieren,“ warnt Prof. Rudolf Pfaendner, wissenschaftlicher Berater für das Fraunhofer LBF.

Laut Pfaendner sind werkstoffliche Verfahren ökologisch, energetisch und ökonomisch immer noch die beste Alternative. Dies funktioniert aufgrund der heterogenen Zusammensetzung von Abfällen jedoch nicht immer. Schätzungsweise 100 Firmen und Forschungsinstitutionen weltweit loten deshalb einen anderen Weg aus – das chemische Recycling, bei dem Altpolymere in kleinere Moleküle aufgespalten werden, um daraus wieder neue Rohstoffe zu synthetisieren. Die Arcus Greencycling Technologies GmbH hat beispielsweise im Industriepark Höchst eine Demo-Anlage entwickelt, die aus 4000 Jahrestonnen Mischkunststoffen Pyrolyseöl gewinnt. Aus dem Öl können Chemikalien und neue Kunststoffe entstehen. „Auch PVC können wir verarbeiten“, sagt Julian Odenthal, Head of Business Development bei Arcus. Das Chlor aus dem PVC wird zum größten Teil im festen Pyrolyse-Rückstand absorbiert. Die T.EN Zimmer GmbH in Frankfurt befasst sich als Industriedienstleister bereits seit vielen Jahrzehnten mit Polymehrprozesstechnologien, darunter auch die Glykolyse und Hydrolyse von gemischten PET-Abfällen. Auf diesen Erfahrungen aufbauend betreibt das neu gegründete Schwesterunternehmen Reju seit letztem Jahr am gleichen Standort eine Pilotanlage zum chemischen Recycling von Textilien.

Sortieren, was die Technik hergibt

Je besser der Abfallstrom sortiert wird, umso sortenreiner sind die Fraktionen und umso erfolgreicher die Verwertung. Sortierung ist heute Hightech. NIR-Spektroskopie, Farbkameras, elektrostatische und sensorische Verfahren, Laser- und Plasmadetektion und manuelle Sortierung durch Roboter verfolgen alle den gleichen Zweck: den Abfallmix zuverlässig und in Sekundenschnelle zu fraktionieren. Neu ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz und neuronalen Netzen, die beispielsweise Food- von Non-Food-Verpackungen unterscheiden können und so einen Closed-Loop für Lebensmittelverpackungen ermöglichen. „Und trotzdem ist der Materialverlust groß“, sagt Jan Hommen, Marktentwickler bei der TOMRA Sorting GmbH. Untersuchungen in Norwegen haben laut Hommen gezeigt, dass doppelt so viel Altkunststoff zurückgewonnen werden kann, wenn alle Abfälle in einer einzigen Tonne landen und keine Getrenntsammlung stattfindet.

Jochen Moesslein ist überzeugt, dass Sortierprozesse wesentlich besser laufen könnten. Der Managing Director beim Technologieentwickler Polysecure GmbH sieht bestehende Anlagen am Limit: „Moderne Kreislaufwirtschaft fragt nach immer mehr Fraktionen mit immer enger definierten Eigenschaften und Reinheiten“. Die Lösung liegt laut Moesslein in einer „geordneten Objektkette mit geschlossener Detektion“ - einer einstufigen Sortierung, die formstabile Teile auf dem Sortierband vereinzelt und Stück für Stück mit einer gekapselten und hochspezifischen Messtechnik analysiert und separiert. Indem Mess- und Steuerungsalgorithmen in die Sortiermaschinen integriert werden, kann das System die enorm große Menge an Daten schnell genug verarbeiten. Auch die Nutzung von Fluoreszenz könnte Sortierung deutlich verbessern. Werden Kunststoffe mit winzigen Fluoreszenzpartikeln markiert, sind sie später im Abfallstrom mit hoher Präzision sichtbar. „Leider“, so Moesslein, „werden neue Sortiertechniken nur zögerlich genutzt, denn sie bedeuten zunächst mal Kosten“.

Additive mit hohem Zusatznutzen

Auch bei bester Sortierung ist nicht garantiert, dass alle Fraktionen einen Markt finden. Die Ansprüche an Rezyklate sind hoch. Zwei der zentralen Fragen lauten: Wie entstehen zuverlässig hohe Rezyklatqualitäten, die sich mit Neuware messen können? Welche Messtechnik kann eine hohe Qualität dokumentieren? Am Fraunhofer LBF arbeiten mehrere Arbeitsgruppen exakt an diesen Stellschrauben. „Wir haben über die Jahre viele Daten und Knowhow gesammelt, um hier wesentliche Schritte voranzukommen“, konstatiert Dr. Elke Metzsch-Zilligen aus der Bereichsleitung Kunststoffe im LBF.

Eine der Stellschrauben sind Additive. Diese chemischen Zusätze machen Polymere stabil gegenüber Hitze, Kälte und UV-Strahlung, undurchlässig für Sauerstoff oder Feuchtigkeit, sie verleihen dem Material große Härte oder maximale Flexibilität, mindern die Entflammbarkeit oder sorgen für die richtige Haptik. Ohne diese Zusätze wären Kunststoffe ziemlich nutzlos.

Additive für Rezyklate müssen anders wirken als die für Neukunststoff. Denn Plastik altert beim Gebrauch. Die Molekülketten werden brüchig und zerfallen, es bilden sich zahlreiche Hydroperoxide, Carbonyl- und Säuregruppen. Diese reaktiven Stellen im Molekül müssen für gezielt stabilisiert werden, damit Rezyklate die Verarbeitung unbeschadet überstehen.

Ein Team am LBF hat neuartige biobasierte und auf Recyclingkunststoff zugeschnittene Stabilisatoren und Antioxidantien entwickelt. Sie verleihen Polyolefinen und Polystyrol neue Stabilität und machen sie unempfindlich gegenüber Hitze und Sauerstoff. „Diese Zusatzstoffe sind für Mensch und Umwelt unbedenklich und werden aus Produkten der europäischen Zuckerindustrie und aus Ackerpflanzen gewonnen,“ erläutert Projektkoordinator Dr. Christian Schütz. Gemeinsam mit Kunden wurden verschiedene Additiv-Mischungen in ihrer Wirkung erfolgreich getestet. Den Schritt vom Labor in den Markt soll ein neues Start-up erleichtern, das ab 2026 im Rahmen des EXIST-Programms des Bundeswirtschaftsministeriums gefördert wird.

Analyseverfahren zur Qualitätssicherung

Ein weiterer Schwerpunkt am LBF ist die Analytik von Produkten aus unterschiedlichen Recyclingprozessen und von Produkten, die Rezyklat enthalten. Dafür nutzen die Experten einen großen Werkzeugkasten spektroskopischer, chromatografischer, mechanischer und chemischer Analysemethoden. „Jede Fragestellung ist eine verkleidete Chance“, formuliert Dr. Robert Brüll, Leiter der Abteilung Materialanalyse und Charakterisierung. „Wenn Unternehmen Proben oder Fragen haben, können sie sich gerne an uns wenden.“

Eine besonders praxisnahe Möglichkeit der Qualitätsüberwachung und -kategorisierung bietet die R.A.M Realtime Application Measurement GmbH aus Flörsheim: Eine kontinuierliche Überwachung des Extrusionsprozesses ermöglicht es unterschiedliche Qualitäten in Echtzeit zu erkennen und die Kunststoffe automatisiert entsprechenden Kategorien zuzuordnen. Darauf aufbauend können Granulatmischungen exakt auf die mehr oder weniger hohen Anforderungen von Kunden angepasst werden. Dies spart Kosten und garantiert eine zuverlässige Qualität.

Innovation entscheidet

Mit Rezyklaten Geld zu verdienen, war noch nie einfach. Langlebige und qualitätsgesicherte Sekundärkunststoffe könnten das ändern, weil sie mit ihrer Wertigkeit überzeugen, Kunden zufriedenstellen, Lieferketten zurückholen und gesetzliche Vorgaben erfüllen helfen. „Kreislauffähigkeit ist eines der großen Themen der Zukunft,“ ist LBF-Institutsleiter Prof. Dr.-Ing. Tobias Melz überzeugt. Sie ist vor allem immer noch ein fruchtbares Feld für Innovationen – für die Forschung, aber auch für die Industrie, die neue polymere Werkstoffe entwickelt und Verpackungen entwirft: Nicht recyclingfähige Verbundfolien ließen sich beispielsweise durch Mehrschichtfolien mit auflösbarer Klebeschicht ersetzen. Duroplaste lassen sich leichter verwerten, indem in die Molekülketten Sollbruchstellen eingebaut werden, die sich bei Hitze oder durch Einwirkung von Enzymen lösen.

In der Abschlussdiskussion wurden verlässlicher Rahmenbedingungen als besonders relevant für die zukünftige Entwicklung hervorgehoben. Regelungen, die die Recyclingwirtschaft unterstützen – insbesondere Rezyklat-Quoten – werden als sinnvoll erachtet. Da die vergleichsweisen hohen Kosten von Kunststoff-Rezyklaten ein Problem sind, wird jedoch auch die technologische Weiterentwicklung zu kostengünstigeren und leistungsfähigeren Technologien eine entscheidende Rolle spielen müssen.

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